In letzter Zeit gab es auch in Innsbruck Proteste gegen die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Auf diesen Kundgebungen wird gegen die als Einschränkung empfundene Maskenpflicht demonstriert, gegen Bill Gates, die Pharmalobby, gegen Folgen, die die Anti-Corona-Maßnahmen haben.
Zunächst ist festzuhalten: Mensch sollte sich auch in einer Pandemie nicht den Mund verbieten lassen. Protest ist grundsätzlich legitim. Und in Krisenzeiten spielen Kritik und Proteste eine extrem wichtige Rolle, gerade weil sie da als besonders störend empfunden werden.
Es gibt auch gute Gründe, gegen Bill Gates auf die Straße zu gehen. Jedenfalls ist seine Stiftung, die sich eigenen Angaben zufolge der Gesundung der Menschheit verschrieben hat, auch daran zu messen, in welche Firmen sie ihr Einlagekapital investiert. Wer Aktien von Konzernen innehat, die unter anderem dafür verantwortlich sind, dass Trinkwasser privatisiert, in Flaschen abgefüllt und teuer verkauft wird, ist mitverantwortlich für eine Wasserknappheit, die für die davon betroffene Bevölkerung ernste gesundheitliche Konsequenzen haben kann. Genau das tun aber Konzerne wie Coca Cola und Pepsico, in die die Gates-Stiftung investiert. Abgesehen davon ist die Produktpalette einiger der Unternehmen, an denen die Gates-Stiftung Aktienanteile hat, alles andere als gesundheitsfördernd: Zuckerhaltige Getränke und Lebensmittel und Alkoholische Getränke. Auch die Arbeitsbedingungen einiger dieser Konzerne, sind nicht gerade dafür bekannt, der Gesundheit in besonderem Maße zuträglich zu sein, wie etwa die der Handelskette Wal Mart. Auch von Coca Cola und Pepsico hört man diesbezüglich nicht nur Gutes. Gleichzeitig investiert die Stiftung auch in Pharmakonzerne, die wiederum profitorientiert handeln und mit der Sicherung von Patenten die Preise in die Höhe treiben. Allerdings – so heißt es – in erster Linie, um die entwickelten Impfstoffe und Medikamente denen zugänglich zu machen, die sie am meisten benötigen.
Die Gates Stiftung finanziert Projekte, von denen einige, wie etwa die Impfkampagnen gegen Masern oder Polio, Millionen Menschenleben retten. Aufgrund ihrer Finanzierung verhält sich die Gates-Stiftung jedoch so widersprüchlich wie eine Friedensorganisation, die sich aus dem Waffenhandel finanziert. Interessenskonflikte sind also vorprogrammiert.
Es ist auch sicherlich nicht gerade gesundheitsförderlich, wenn sich Milliardäre über zweckgewidmete Spenden in die Weltgesundheitsorganisation WHO „einkaufen“. Dabei ist der Einfluss von Bill Gates lediglich das Resultat von politischen Entscheidungen der Mitgliedstaaten, die ihre Pflichtbeiträge sukzessive gesenkt haben. Die Folge ist, dass die WHO chronisch unterfinanziert ist und die Abhängigkeit von privaten Geldgebern, die zweckgerichtet spenden, immer größer wird. Dadurch werden die Gesundheitsagenden zunehmend in zweckgerichtete Einzelkampagnen zerlegt, während der systematische Aufbau einer gut funktionierenden Gesundheitsversorgung in ärmeren Ländern auf der Strecke bleibt. Mag sein, dass mittlerweile sogar Gates einsieht, dass die Superreichen viel zu wenig Steuern bezahlen. Im US-Vorwahlkampf hat er sich über die Pläne von Sanders und Warren besorgt gezeigt. Und es soll auch nicht vergessen werden, dass auch Mike Bloomberg und Tom Steyer zu dem Kreis der selbsternannten Philanthropen gehören, die das von Bill Gates und Warren Buffet initiierte Giving Pledge unterzeichnet haben. Das hat sie aber nicht daran gehindert, ihr Vermögen für einen weniger edlen Zweck auszugeben: Alles zu unternehmen, um einen Sieg von Bernie Sanders bei den Vorwahlen zu verhindern. Und außerdem, ein Milliardär der sich seinen Reichtum durch rücksichtslose Ellbogenmentalität, ein mittelmäßiges Produkt und die Erschleichung einer Monopolstellung erwirtschaftet hat, sagt jetzt, er sei dafür, dass die Reichen Steuern zahlen? Das ist dann doch auch ziemlich merkwürdig, oder?
Komischerweise wird aber weniger das thematisiert, sondern vielmehr behauptet, dass die Pharmalobby uns angeblich alle impfen will. Blöd ist nur, dass die eigentlich gar nicht so viel davon hat. Jedenfalls nicht von der Produktion von Impfstoffen, die praktisch lebenslänglich oder für Jahrzehnte immunisieren. Interessanter ist da allenfalls die berühmte Grippeimpfung, vor allem dann, wenn die öffentliche Hand Millionen Impfdosen kauft, wie während der Schweinegrippe-Pandemie. Tatsächlich sind die gängigen Impfstoffe in der Regel gut verträglich. Impfschäden sind daher sehr selten und stehen in keinem Verhältnis zu den Gefahren die von Krankheiten ausgehen, gegen die geimpft wird. Und an diesen ließe sich weitaus mehr Geld verdienen. Man kann ja mit Sicherheit die Zusätze von Aluminium und Co kritisch sehen und die Tatsache, dass es bislang keine veganen Impfstoffe gibt, aber mensch sollte schon die Kirche im Dorf lassen: Wir nehmen wöchentlich Mikroplastik in der Menge einer Kreditkarte zu uns und wer glaubt, dass die Adjuvanzien im Impfstoff so schädlich sind, kann sie immer noch “ausleiten”.
Andererseits steht auch fest, dass Vorbehalte gegenüber einen im Schnellverfahren zugelassenen Impfstoff nicht unbegründet sind. Immerhin kommt es vor, dass Impfstoffe etwa genau das Gegenteil von dem bewirken, was sie sollen. Gerade dann, wenn sich alle impfen lassen sollen, dann muss sichergestellt werden, dass der Stoff gut verträglich ist. Wenn etwa Weltärzpräsident Montgomery laut über eine Impfpflicht gegen Covid-19 nachdenkt, dann ruft das auch unter Leuten Verwunderung hervor, die dem Impfen grundsätzlich positiv gegenüberstehen. So wird nämlich kein Vertrauen geschaffen, sondern lediglich die Unsicherheit erhöht.
Natürlich sind die Corona-Toten in Österreich nichts im Vergleich zu den rund 8 000 Toten, die der Alkohol jährlich fordert. Aber generell ist die absolute Mortalität nicht unbedingt für den Umgang der Politik damit ausschaggebend: Warum werden Drogen wegen etwa 200 Toten jährlich verboten, während der Alkoholkonsum legal und sogar gesellschaftlich akzeptiert wird? Der Tabakgenuss wurde jetzt freilich in Gaststätten verboten. Er fordert laut Statistik etwa 14 000 Tote jährlich, unter ihnen etwa 1 000 Passivraucher. Die saisonale Grippe fordert jedes Jahr etwa 1 400 Menschen. Und etwa 400 Menschen sterben jährlich aufgrund von Verkehrsunfällen. Mehr als 8 000 Menschen sterben jedes Jahr vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung.
Wir müssen hierbei jedoch Unvergleichbarkeiten bei den Zählweisen berücksichtigen und sollten nicht leichtfertig Äpfel mit Birnen vergleichen. Gerade bei Alkohol,Tabakkonsum und Luftverschmutzung liegen den Zahlen natürlich wohl ebenso Übersterblichkeitsschätzungen zugrunde wie bei den Grippetoten. Gleichzeitig ist auch zu berücksichtigen, dass Todesfälle multikausal bedingt sein können, d.h. mehrere Ursachen haben können. In diesen Zusammenhang sind nun die mittlerweile knapp über 600 Menschen zu stellen, bei denen Covid-19 als Todesursache gemäß dem Epidemiegesetz festgestellt wurde.
Das Leben ist gefährlich und bislang sind noch alle am Ende gestorben. Die Frage, welches Sterberisiko wir inwieweit akzeptieren wollen, ist natürlich eine politische und eine ausgesprochen emotionale. Der Kampf gegen die Pandemie wurde und wird uns als das Bestreben zur Vermeidung von Todesfällen präsentiert. Das ist auf den ersten Blick naheliegend und kann für ein paar Wochen oder vielleicht ein oder zwei Monate klappen. Sobald jedoch die Erkenntnis durchsickert, dass die Pandemie uns wohl noch etwas länger begleiten wird, tut sich ein enormes Konfliktpotenzial auf. Denn je einschneidender die Maßnahmen sind, desto mehr stellt sich die Frage, ob die Rettung von Leben nicht einen Preis hat, den die Gesellschaft nicht mehr bereit ist, zu zahlen. Je länger die Maßnahmen andauern, desto mehr werden sie zu einer Normalität, unter der das Leben ja irgendwie weitergehen muss. Und je länger die Kontakteinschränkungen verordnet werden, desto weniger sind die Menschen bereit das zu akzeptieren. Das betrifft auch die Risikogruppen selbst, deren Leben durch diese Maßnahmen geschützt werden sollen. Manche Menschen fragen sich dann, ob sie dann das Risiko einer Infektion und der damit verbundenen Lebensgefahr einer dauerhaften Isolation vorziehen. Ebenso verdient es eine Diskussion, darüber, wo wir uns im Zweifel mehr Risiko leisten wollen und wo wir wirklich noch etwas abwarten sollen. Ist es noch vertretbar, wenn Patient*innen in Krankenhäusern regulär nicht besucht werden dürfen, während draußen das Leben schon fast normal weitergeht?
Doch die Kundgebungen haben damit insgesamt wenig zu tun. Denn einerseits wird ohnehin immer mehr gelockert und andererseits unterschätzen diejenigen, die hier protestieren, den Wert eines funktionierenden Gesundheitswesens und die Gefahr, die von dieser Pandemie nicht nur für die Risikogruppen ausgeht. Covid-19 ist in der Lage, auch an sich gut funktionierende Gesundheitssysteme zu überlasten, selbst dann, wenn hierzulande Bilder wie in Italien nicht so rasch zu befürchten wären. Dennoch: Bei den Maßnahmen gegen die Pandemie ging es immer darum, dass eine Triage im Vorfeld verhindert wird, sodass alle, die es benötigen, auch weiterhin behandelt werden können und niemand nur deswegen stirbt, weil die Kapazitäten des Gesundheitswesens nicht mehr ausreichen, um ihn oder sie zu versorgen. Und die Rettung möglichst vieler sollte ja dann doch grundlegendes Anliegen einer Gesellschaft sein.
Zudem dienen solche Kundgebungen zur Ablenkung von schockierenden Tatsachen. Während die neoliberalen Einsparungsideolog*innen nach dem Motto „guat is‘ g‘gangen nix is g‘schengn“ jetzt behaupten, dass wir die vielen Betten ja jetzt eh nicht gebraucht hätten, empören wir uns über die Maskenpflicht in den Öffis und beim Einkauf, weil diese unsere „Bürgerrechte“ dermaßen einschränke. Echt jetzt? Je weniger Betten wir in unseren Krankenhäusern haben, desto eingeengter ist unser Handlungsspielraum während einer Epidemie. Wenn diese Gesundheitsökonom*innen fertig sind mit ihren Einsparungswünschen, dann gerät unser Gesundheitssystem mit jeder saisonalen Grippewelle an die Belastungsgrenzen.
Genau aus diesem Grund halte ich diese Proteste derzeit nicht für unterstützenswert. Vielmehr müssten jetzt die sozialen Fragen im Zusammenhang mit der Corona-Krise in den Vordergrund zu rücken.
Gleichzeitig ist es dringend nötig, auch gegenüber den offiziellen Versionen kritisch gegenüber zu sein. Ja selbst die Wissenschafter*innen irren immer wieder. Und wir sollten auch im Hinterkopf behalten, dass auch die Forschung oftmals mit Konzernen und Stiftungen verflochten ist, was deren Unabhängigkeit beeinträchtigen kann.
Roland Steixner
Fotos: Screenshots aus: Stichprobe – Niemand redet außer dir.