Wer bei Wikipedia das Wort „Karree“ nachschlägt, erfährt, dass das Wort aus dem Französischen kommt und ursprünglich die Bedeutung „Quadrat“ hat. Außerdem erfährt mensch, dass das Wort polysem ist, d.h. gleich mehrere Bedeutungen hat. Karree wird nicht nur als als Bezeichnung für ein Geviert, sondern auch für das Rippenstück eines Schlachtviehs, aus dem Steaks und Koteletten gewonnen werden.
In der Egger-Lienz-Straße, schräg gegenüber vom Innsbrucker Westbahnhof steht ein Geviert aus Altbauten, die ehemals im Eigentum der ÖBB waren. Dort befinden sich ehemalige Dienstwohnungen von Bahnangestellten. Bereits vor Jahren hat die ÖBB kein Interesse mehr gehabt, diese Wohnblocks zu erhalten und hat nicht einmal die nötigsten Reparaturen durchgeführt. Lehrstehende Wohnungen wurden leer gelassen und verwahrloste Gebäudeteile fungierten als Drogenaufbewahrungsorte. Erst aufgrund des Eingreifens der Polizei wurden Fenster und Türen verbarrikadiert. Die Bewohner*innen wurden genötigt, auszuziehen. Über die Zukunft des Wohnblocks herrschte zunehmend Unsicherheit. Die ÖBB war fest entschlossen, die Gebäude abzureißen. Die meisten gingen. Wenige haben durchgehalten.
Dann kauft die ZIMA das Geviert auf. Selbstverständlich will sie es abreißen und neu bebauen. Der Gestaltungsbeirat und die Stadtplanung der Stadt Innsbruck stuften die Fassade des Gevierts jedoch als erhaltungswürdig ein. Doch der Stadtsenat fällt mehrheitlich um und verlangt lediglich, dass im Architekturwettbewerb lediglich der Erhalt von Teilen der Fassade „geprüft werde“. Das Siegerprojekt sieht – natürlich völlig überraschend – den Totalabriss sämtlicher Gebäude des Gevierts vor. Die Fassade wird also nicht erhalten. Das Neubauprojekt ist weit entfernt davon, sich dezent in das Stadtbild einzufügen. Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden, aber dass dieser Neubau hier überhaupt nicht hinpasst, darf wirklich behauptet werden. Und doch hat die Stadt Innsbruck das Projekt letztlich geschluckt. Mittlerweile ist bereits eine Häuserzeile abgerissen. ZIMA ist „einfach besonders“. Besonders skrupellos, wenn es um die Verteibung von Mieter*innen geht. Denen rät der ZIMA-Chef Wolf, die „Gelegenheit beim Schopf zu packen“ und auszuziehen.
Vonseiten der Stadt wurde versucht, in das künftige und praktisch durchgewunkene Wohnprojekt ein paar Sozialwohnungen hineinzureklamieren. Denn immerhin sollen hier 185 Wohnungen entstehen. Die ZIMA hat dieses Bestreben brüsk zurückgewiesen. Entsprechend dem Verhandlungsgeschick der zuständigen Stellen im Stadtsenat dürfte die Anzahl der geförderten Mietwohnungen im geplanten Neubau ausgesprochen rund und einstellig ausfallen. Somit werden in der Nähe des Westbahnhofs ausschließlich freifinanzierte Eigentumswohnungen entstehen, die zu horrenden Preisen über den Ladentisch gehen. Nominell wird die Anzahl der Wohnnutzfläche in Innsbruck auch durch dieses Projekt wachsen. Doch die meisten Menschen können sich dieses Betongold schlicht nicht leisten.
„Stadt-Carré-Wilten“ soll das Bauprojekt Q2 der ZIMA heißen. Dieser Name passt auf dieses Projekt wie die sprichwörtliche Faust auf’s Auge: Städte werden von den Immobilienkonzernen geschlachtet, buchstäblich ausgeweidet und deren Karreestücke dem Kapital als Steaks zum Fraß vorgeworfen. Die Stadtregierung schaut dabei bislang zu und macht einen Kotau vor der Immobilienbranche nach dem anderen. Während freifinanzierte Eigentumswohnungen aus dem Boden schießen, wird bezahlbarer Wohnraum in der Stadt immer knapper. Es wird Zeit, dass die Stadtpolitik nicht nur in den sozialen Wohnbau investiert, sondern Maßnahmen ergreift, um bestehenden Wohnraum vor dem Zugriff des Kapitalmarktes zu schützen. Denn die Erhaltung von bezahlbaren Wohnraum ist mindestens so wichtig wie die Schaffung von neuem. Die Innsbrucker Wohnungspolitik wirkt nämlich so, als wolle sie einen Eimer mit Leck befüllen. Wenn bestehender bezahlbarer Wohnraum verschwindet, dann verpufft die Wirkung des Neubaus. Doch das scheint der Stadtregierung bislang nebensächlich. Leider entspricht das auch der Medienlogik: Der Erhalt von Wohnraum liefert halt nicht so tolle Bilder ab wie Spatenstiche, Firstfeiern und das Durchschneiden von Bändern.
Autor: Roland Steixner
https://www.tt.com/panorama/natur/4881071/bahnmietern-droht-hausabriss#
https://www.meinbezirk.at/innsbruck/c-lokales/man-ekelt-uns-raus_a1003066
https://www.tt.com/wirtschaft/standorttirol/8866016/zima-droht-mit-vorgezogenem-abriss
http://provinnsbruck.at/allgemein/wenn-das-gras-waechst-in-der-stadt/