Konsequent für eine soziale Wohnungspolitik
Wohnungslosigkeit – Ein Problem mit Folgekosten
Im Rahmen der Mikrozensuserhebung der Statistik Austria (Wohnen 2022 – Zahlen, Daten und Indikatoren der Wohnstatistik) wurden Daten zur Wohnungslosigkeit erhoben. Aus diesen geht hervor, dass im Jahr 2021 tirolweit 1 537 Menschen als obdach- oder wohnungslos registriert waren. Ein großer Teil dieser Menschen hält sich in Innsbruck auf.
Wohnungslosigkeit und prekäre Wohnverhältnisse sind keineswegs „nur“ ein soziales Problem, sondern auch ein volkswirtschaftliches mit hohen Folgekosten. Denn Wohnungslosigkeit stellt ein massives Hindernis für die Integration am Arbeitsmarkt dar, beeinträchtigt die körperliche und psychische Leistungsfähigkeit und hat gesundheitliche Folgen, da sie Stress erzeugt und der Raum für die Regeneration fehlt. Wohnungslosigkeit macht auf Dauer krank und verkürzt die durchschnittliche Lebenserwartung gemäß einer Erhebung der Statistik Austria (Eingliederungsindikatoren 2017, Kennzahlen für soziale Inklusion in Österreich) um rund 20 Jahre.
Maßnahmen gegen Wohnungslosigkeit und prekäre Wohnverhältnisse – wie etwa Housing-First – bringen daher nicht nur einen sozialen, sondern auch einen wirtschaftlichen Mehrwert und tragen dazu bei, anderweitig Kosten zu sparen, etwa im Gesundheitssystem. Folgerichtig haben sich alle 27 EU-Mitgliedstaaten bei der Konferenz von Lissabon von 2021 dazu verpflichtet, Maßnahmen zur Bekämpfung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit zu ergreifen, mit dem Ziel, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu beenden. Doch die bisher ergriffenen Maßnahmen reichen dafür bei weitem nicht aus. So sind etwa 75 000 Euro vom Land Tirol für das „lilawohnt“- Projekt (Notwohnungen für Frauen) nur ein zaghafter Schritt in die richtige Richtung.
Notschlafstellen voll – städtische Wohnungsvergabe überlastet
Die Tiroler Sozialvereine, die sich unter der Wohnungslosenhilfe Tirol organisiert haben, haben sich im Sommer 2023 in einem offenen Brief an die Politik gewandt und diese aufgefordert, mehr zu unternehmen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Zwar ist das Angebot an Notschlafplätzen in den letzten Jahren erweitert worden, aber der Bedarf steigt und viele Menschen müssen daher aufgrund von Mangel an Plätzen abgewiesen werden. Wohnungslosigkeit ist zudem vielfach ein unsichtbares Problem, das nicht zuletzt auch Frauen und Kinder betrifft. So gelten tirolweit über 100 Frauen und etwa 90 Kinder als wohnungslos. Das ist jedoch nur die Spitze des Eisberges. Denn darüber hinaus leben viele weitere unter prekären Verhältnissen und in überbelegten Wohnungen. Oftmals verbleiben Frauen mit Kindern in Gewaltbeziehungen aus Angst davor, nach einer Trennung auf der Straße zu stehen.
Auch die städtische Wohnungsvergabe schlägt Alarm. Denn die Wartelisten sind voll. Mehr als 5 500 Menschen warten auf eine Stadtwohnung. Viele Menschen können sich am privaten Wohnungsmarkt nicht mehr mit angemessenem Wohnraum versorgen. Es braucht also in der Stadt dringend mehr bezahlbare Wohnungen. Dabei sind für immer mehr Menschen in Innsbruck sogar viele Stadtwohnungen mittlerweile zu teuer. Das bedeutet, dass diesen zwar eine Stadtwohnung zugewiesen werden müsste, aber aktuell keine verfügbar ist, die sich die Betroffenen auf der Warteliste auch leisten könnten. Dieser Missstand muss dringend behoben werden.
Der private Markt ist das Problem, nicht die Lösung
In Innsbruck sind die Wohnkosten seit langem überdurchschnittlich hoch. In den letzten 20 Jahren sind die Mieten um knapp 60 Prozent gestiegen. Die Preise für Eigentumswohnungen haben sich seit 2006 fast verdreifacht. Die Teuerung trifft viele Menschen in Innsbruck hart. Daher ist Wohnungslosigkeit keineswegs ein „Randgruppenphänomen“, sondern bedroht zunehmend auch die Mittelschicht. Denn die Einkommen der meisten Menschen können mit der Kostenexplosion auf dem Wohnungssektor nicht mithalten.
Lange Zeit hat sich die Politik auf den privaten Immobilienmarkt verlassen, in der Hoffnung, dass dieser das benötigte Wohnungsangebot schaffen würde. Zum Teil tut sie das immer noch. So wurden und werden im Gemeinderat Flächenwidmungs- und Bebauungspläne beschlossen, die die Umsetzung von Betongoldprojekten ermöglichen oder begünstigen. Dabei sind die Folgen davon klar: Die Ermöglichung von spekulativen Bauprojekten stellt eine Einladung an die Immobilienbranche zur profitablen Verwertung von Bauland dar. Das begünstigt die Preissteigerungen auf dem Immobilienmarkt. Dadurch wird es für die Stadt und für gemeinnützige Bauträger immer schwerer, an Baugrund zu kommen und die benötigten bezahlbaren Wohnungen zu bauen.
Ein konsequentes Vorgehen vonseiten der Politik ist längst überfällig. Doch diese handelt widersprüchlich: Die Stadt hat zwar den Wohnungsnotstand 2022 beschlossen, aber eine Festschreibung der bereits im Tiroler Raumordnungsgesetz von 2016 verankerten Vorbehaltsflächen für geförderten Wohnbau im örtlichen Raumordnungskonzept (ÖROKO) wurde durch eine rechtsbürgerliche Mehrheit im Gemeinderat verhindert. Zudem konfrontiert die – ebenfalls von einer rechtsbürgerlichen Mehrheit beschlossene – sogenannte „Vergabeliste für den Mittelstand“ die städtische Wohnungsvergabe mit einem Zusatzaufwand, um für Menschen Stadtwohnungen bereitzuhalten, die diese großteils weder benötigen noch wollen, während andererseits die überlange Warteliste kaum abgearbeitet werden kann, weil die Ressourcen dafür schlicht fehlen.
Weil Innsbruck die bereits verfügbaren Mittel nicht ausschöpft, sieht das Land keine Notwendigkeit, der Stadt die entsprechende Ermächtigung zu erteilen, um den Wohnungsnotstand mit Maßnahmen gemäß dem Bodenbeschaffungsgesetz von 1974 entsprechend zu bekämpfen. Somit liegt der Ball bei der Stadt Innsbruck, ihre eigene bislang praktizierte Wohnungspolitik gründlich zu überdenken.
Wohnungsfrage verlangt nach einer systemischen Antwort
Es wurden vonseiten von Stadt, Land und Bund Initiativen gestartet, um Delogierungen (Zwangsräumungen) zu verhindern und Härtefälle abzufedern. Die Kooperation mit den Sozialvereinen auf diesem Gebiet funktioniert sehr gut. Zudem wurden und werden vonseiten von Stadt, Land und Bund Zuschüsse zur Minderung der Folgen der Teuerung gewährt. Ein Härtefallfonds für wohnungslose Frauen wurde eingerichtet, die geplante Bereitstellung von Notwohnungen wartet auf die Umsetzung. Die Mietzinsbeihilfe Neu stellt eine spürbare Verbesserung zum Status quo ante dar. Doch das ist viel zu wenig und einiges kommt reichlich spät. Darüber hinaus braucht es mehr: Es braucht eine systemische Antwort auf die Wohnungsfrage, um die Ursachen des Wohnungsproblems zu bekämpfen.
Die Wohnungsfrage als sozialpolitische Verteilungsfrage
Denn die Wohnungsfrage ist eine Verteilungsfrage: So geht etwa aus dem Bericht der Statistik Austria (Wohnen 2022, Zahlen, Daten und Indikatoren der Wohnstatistik) klar hervor, dass unter den Gutverdiener:innen mit einem Haushaltseinkommen, das 180 Prozent des Medianeinkommens übersteigt, der Wohnkostenanteil am Einkommen wesentlich niedriger ist als unter den Geringverdiener:innen mit einem Haushaltseinkommen von weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens. Während die Hälfte aller Gutverdiener:innen nur etwa 7 Prozent des Haushaltseinkommens und Dreiviertel aller Gutverdienenden weniger als 12 Prozent des Einkommens für das Wohnen ausgeben müssen, hat die Hälfte der Geringverdiener:innen Wohnkosten in der Höhe von 38 Prozent des Haushaltseinkommens oder mehr zu stemmen. Die Schere geht hier auch bei den Wohnkosten pro Quadratmeter auseinander. So haben Geringverdiener:innen und insbesondere Menschen in verfestigter Armut etwa doppelt so hohe Wohnkosten pro Quadratmeter zu schultern als Gutverdiener:innen. Und das, obwohl Menschen mit niedrigem Einkommen vom Bestand von kommunalen und gemeinnützigen Wohnungen in erster Linie profitieren. Ohne diesen würde die Schere zwischen Arm und Reich hier sogar noch weiter auseinanderklaffen, da Wohnen am privaten Markt im Schnitt deutlich teurer ist.
Dieser massive Unterschied ist darin begründet, dass Gutverdiener:innen vielfach über Haus- und Wohnungseigentum verfügen. Denn im Eigentum wohnt es sich günstiger: Während die Hälfte der Hauseigentümer:innen nicht mehr als 10 Prozent des Einkommens für das Wohnen ausgibt und drei Viertel der Hauseigentümer:innen nicht mehr als 15 Prozent des Einkommens, muss die Hälfte der Mieter:innen mehr als ein Viertel des Haushaltseinkommens für das Wohnen bereithalten. Mieter:innen am privaten Wohnungsmarkt müssen im Vergleich zu den Hauseigentümer:innen mehr als dreimal so hohe Wohnkosten pro Quadratmeter schultern. Während die höheren Wohnkosten der Niedrigverdiener:innen teilweise von der öffentlichen Hand bezuschusst werden müssen, generieren Besserverdienende über die Vermietung von Eigentumswohnungen ein Zusatzeinkommen, finanziert von den Mieter:innen und teilweise subventioniert von der öffentlichen Hand. Hinzu kommt, dass öffentliche Investitionen in die Infrastruktur auch in die Miet- und Kaufpreisbildung einfließen und den Eigentümer:innen so noch ein zusätzliches Körberlgeld beschert.
So funktioniert die Umverteilung von unten nach oben und von der öffentlichen Hand in die Taschen gutsituierter Hauseigentümer:innen. Wohnen ist also ein Geschäft, an dem sich einige Wenige bereichern.
Es braucht daher dringend eine soziale Mietrechtsreform, die die Einführung von verbindlichen Mietobergrenzen für alle Wohnungen und die Abschaffung von Befristungsmöglichkeiten in Mietverträgen zum Gegenstand hat. Darüber hinaus ist die Mehrwertsteuer auf Mieten und Betriebskosten abzuschaffen. Hierfür wäre der Bund zuständig und dahingehend in die Pflicht zu nehmen.
Die Wohnungsfrage als ökologische und klimapolitische Frage
Eine systemische Antwort auf die Wohnungsfrage muss zudem auch ökologische und klimapolitische Aspekte berücksichtigen: Der Gebäudesektor macht in Österreich knapp 12 % der Gesamtemissionen aus (Klimaschutzbericht 2023). Die räumliche Verteilung von Wohngebieten und der Grad an Zersiedlung stehen zudem in enger Beziehung mit den Emissionen im Bereich Mobilität, dem Flächenverbrauch und der Bodenversiegelung. Noch dazu fallen durch den Bausektor große Mengen Abfall an. Die Wohnungsfrage steht somit in unmittelbarem Zusammenhang mit der Klima- und Biodiversitätskrise und muss auch unter diesen Aspekten betrachtet und gelöst werden.
Neben höchsten ökologischen Baustandards für Neubauten braucht es deshalb eine sozial gerechte Ökologisierung und Dekarbonisierung des Wohnbestands. Um die angesprochenen Abfallmengen, Flächenverbrauch und Zersiedlung zu verhindern, muss zudem der Fokus auf die Mobilisierung des Leerstandes durch Umbau und Umnutzung bestehender Gebäude gelegt werden, anstatt immer neue Flächen für teils wiederum spekulative Neubauten zu versiegeln und bestehende Gebäude zugunsten der Errichtung kurzlebiger Neubauten abzureißen. Die Forderungen von Architects 4 Future und der Europäischen Bürgerinitiative HouseEurope sind diesbezüglich zu unterstützen.
Die jetzt schon nicht mehr vermeidbaren Folgen des menschengemachten Klimawandels werden die Frage, wie wir in Zukunft wohnen werden, zusätzlich in den Fokus rücken. Neben baulichen und gestalterischen Maßnahmen zum Umgang mit Hitze und anderen Wetterextremen, kann auch die gesellschaftlichen Resilienz durch Strukturen gestärkt werden, die ein progressives Wir anstelle von Individualisierung und Vereinsamung fördern.
Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum lässt sich nicht allein mit dem Baukran beheben. Denn die vorhandene durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf hat sich in den letzten Jahrzehnten in Österreich stetig vergrößert. Aufgeteilt auf alle Hauptwohnsitze sind in Innsbruck knapp über 43 Quadratmeter Wohnnutzfläche je Hauptwohnsitz vorhanden. Selbst unter Miteinbeziehung der Nebenwohnsitzbevölkerung sind es immer noch mehr als 35 Quadratmeter für jede einzelne Person, die in Innsbruck entweder einen Haupt oder einen Nebenwohnsitz innehat.
Es ist also möglich, alle Menschen in Innsbruck angemessen unterzubringen, ohne einen einzigen zusätzlichen Quadratmeter an Boden zu versiegeln, wenn die bedarfsgerechte Schaffung und Bereitstellung von Wohnraum für alle als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden und von der öffentlichen Hand organisiert wird. Zudem kann durch Dacbbodenausbauten, die Aufstockung von Gebäuden, die Überbauung von Einkaufszentren und durch die Einhausung und Überbauung von Autobahnstrecken weiterer Wohnraum ohne zusätzliche Bodenversiegelung geschaffen werden.
Während die Errichtung von kommunalen und gemeinnützigen Wohnungen weiterhin sinnvoll und notwendig ist, gilt dies für die Schaffung von Betongoldprojekten für den spekulativen Immobilienmarkt nicht. Denn dabei wird kein Raum geschaffen, der zur Deckung grundlegender menschlicher Bedürfnisse benötigt wird, sondern nur Profite in die Kassen einiger weniger gespült. Zudem entsteht dadurch vermeidbarer Leerstand: Denn laut den Zahlen des Leerstandsmonitorings der Stadt Innsbruck vom Juli 2023 stehen mehr als 8 Prozent der Wohnungen in Innsbruck leer. Bei neu gebauten Wohnungen ist die Leerstandsquote mit knapp 13 Prozent überdurchschnittlich hoch. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Wohnungen, die von privaten und gewerblichen Bauträgern errichtet wurden.
Grund dafür ist die Spekulation mit Wohnraum. Die Preise für Eigentumswohnungen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich stärker erhöht als die Mieten. Die Preise für neue Wohnungen sind um rund 30 Prozent höher als für gebrauchte. Wer eine Wohnung kauft und dann vermietet, muss daher eine Wertminderung in Kauf nehmen. Daher ist das Leerstehenlassen von Wohnungen bis zum Weiterverkauf deutlich profitabler als die Vermietung. Aus diesem Grund muss dem spekulativen Leerstand mit einer angemessenen Leerstandsabgabe begegnet und spekulative Bauprojekte im Vorfeld verhindert werden.
Vergesellschaftung als systemische Antwort auf die Wohnungsfrage
Die Laissez-Faire-Haltung vonseiten der Politik gegenüber dem spekulativen Immobilienmarkt führt daher nicht nur zu sozialen Verwerfungen, sondern verdrängt auch den ökologischen Aspekt der Wohnungsfrage. Jedes Betongoldprojekt in der Stadt verschwendet Platz, der für die Deckung grundlegender menschlicher Bedürfnisse gebraucht wird. Die grundlegende Antwort auf die Wohnungsfrage sowohl in Hinblick auf ihren sozialen als auch in Hinblick auf ihren ökologischen Aspekt beinhaltet daher letztlich auch die Vergesellschaftung von Immobilien.
Es ist daher dringend notwendig, Mittel und Wege zu finden, um Immobilien, die bislang profitorientiert verwertet werden, in öffentliches und gemeinnütziges Eigentum zu bringen. Dafür braucht es freilich auch die Unterstützung von Land und Bund. Die Signa-Pleite könnte unter bestimmten Voraussetzungen als Chance für die öffentliche Hand verstanden werden, zu vertretbaren Konditionen an Immobilien in der Innsbrucker Innenstadt zu gelangen und so Platz zu schaffen für Wohnraum und dringend benötigte soziale Infrastruktur. Nachdem gerade der Signa-Konzern über Jahrzehnte hinweg Profite auf Kosten der Allgemeinheit gemacht hat, ist es nur recht und billig, wenn sich die Gesellschaft hier das zurückholt, was ihr von profitorientierten Konzernen gestohlen wurde.
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