Stadt mauert bei Housing-first

Das Angebot an Schlafplätzen in Tirols Winternotschlafstellen konnte in den letzten Jahren deutlich gesteigert werden. Nach deren Schließung im April sind allerdings zahlreiche Menschen ohne Unterkunft und müssen die Kältewellen rund um die Eisheiligen und danach oftmals im Freien verbringen. Einige wenige haben dankenswerterweise das Glück, vorübergehend noch im Gebäude im Schusterbergweg untergebracht zu sein. Doch Stadt und Land wissen genau, dass es dringend einer ganzjährigen Notschlafstelle bedarf. Erfreulicherweise konnte sich der Gemeinderat auf Initiative von ALI zu einem klaren Handlungsauftrag zur Eröffnung einer ganzjährigen Notschlafstelle durchringen. Es bleibt zu hoffen, dass den Beschlüssen und Absichtserklärungen nun endlich Taten folgen.

Was es aber abseits der Notschlafstelle ebenfalls dringend braucht, ist ein Housing-first-Projekt, das wohnungslose Menschen, sofern sie es möchten, ohne weitere Vorbedingung mit Wohnraum versorgt. Housing-first-Projekte werden in zahlreichen Städten umgesetzt und deren Erfolge sind unbestritten. Denn so werden auch Menschen erreicht, die sich niemals in Notschlafstellen begeben würden, und helfen mit, soziale und gesundheitliche Folgekosten von Obdachlosigkeit zu verringern. Housing-first ist somit nicht nur Wohnungspolitik, sondern auch effiziente und kostensparende Sozial- und Gesundheitspolitik.

Auch die jetzige Stadtregierung hat im Arbeitsübereinkommen 2018-2024 die Umsetzung von Housing-first vereinbart:

Darüber hinaus setzen wir nach dem Vorarlberger Vorbild „housing first“ betreute Wohnungskontingente in neuen Stadtwohnanlagen um.“

Die Beantwortung der Anfrage, die ALI bei der Gemeinderatssitzung am 28.03.2019 eingebracht hatte, ergibt ein erschreckendes Bild. Die Stadt mauert. Aber leider nicht im Sinne der Wohnungslosen, die dringend überdachte Wände zur Deckung ihres Wohnbedarfs bräuchten. Das Versprechen des Arbeitsübereinkommens ist offenkundig das Papier nicht wert, auf dem es steht. Denn derzeit ist laut Beantwortung der ALI-Anfrage noch nichts passiert. Dort heißt es:

Aktuell wurde für keine der anstehenden Neubauprojekte – derzeit auch keine in Vergabe – ein konkreter Beschluss für ein “Housing-first-Modell” herbeigeführt.“

In den bestehenden Wohnanlagen werden Wohneinheiten im Rahmen der „Arbeitsgemeinschaft Betreutes Wohnen“ (ARGE BeWo) zur Verfügung gestellt. Das ist löblich, denn es braucht auch betreutes Wohnen, aber kein Housing-first und schon gar nicht das, was im Arbeitsübereinkommen vollmundig angekündigt wurde. Im vergangenen Herbst wurde der ALI-Antrag auf Umsetzung eines Housing-first-Projekts im Gemeinderat mit den Stimmen der Stadtkoalition mehrheitlich abgelehnt, mit der Begründung, dass dieser Antrag überflüssig sei. Denn Housing-first stehe ohnehin kurz vor der Umsetzung. Nach unserer Anfrage steht aber fest, dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht.

In Innsbruck gibt es rund 300 Obdachlose und gleichzeitig mehr als 2000 Wohnungen, die leer stehen. Die Stadt verhängt zwar Schlafverbote, kann aber die Menschen, denen sie das Nächtigen auf der Straße verbietet, nicht ausreichend mit adäquatem Wohnraum versorgen. Wie aus den Bevölkerungs– und Wohnraumstatistiken der Stadt Innsbruck hervorgeht, gibt es für die anwesende Bevölkerung (Hauptwohnsitze und Nebenwohnsitze) pro Kopf etwa 35 Quadratmeter Wohnfläche in der Stadt. Es steht also außer Frage, dass rein rechnerisch genügend Wohnraum für alle da wäre. Die Frage ist allerdings die, in wessen Händen er sich befindet. Anstatt die Taschen von Investor*innen mit Widmungsgeschenken zu füllen, sollte die Stadt vielmehr alles tun, damit künftig fast ausschließlich gemeinnützige Gebäude im Stadtgebiet errichtet werden und bestehender ungenutzter privater Wohnraum dem Allgemeinwohl zur Verfügung gestellt wird. Die ALI wird jedenfalls weiterhin Druck machen, damit auch in Innsbruck Housing-first endlich umgesetzt wird und Maßnahmen ergriffen werden, um Wohnen in Innsbruck für alle bezahlbar zu machen.

Roland Steixner

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